Lautlos flattert ein Brief durch unseren Türschlitz. Ich hebe ihn auf und betrachte den wunderschönen Leinenumschlag. „Ein Brief aus Frankreich, Herr Lagerfell“ rufe ich ihm zu. Er betrachtet ihn eingehend und nickt wissend. “Wohl nicht aus Frankreich – aus der Bretagne! Bitte lesen Sie in mir vor.”
„Monsieur Lagerfell, ein bretonisches Sprichwort besagt:
Gwelloc’h un amezeg a dost eget ur c’har a-bell.
– Besser ein Nachbar nebenan als ein nächster Verwandter weitab. Das sollte unbedingt geändert werden. Besuchen Sie mich doch am schönsten Ende der Welt – dem Finstère.
Ihr Cousin Gwendal”
Herr Lagerfell reichte mir wortlos das Telefon. Dies war wohl die Aufforderung unsere Reise in die Bretagne zu organisieren.
Als wir in Nantes aus dem Flugzeug steigen, blendet uns der knallblaue Himmel und warme Luft umarmt uns wie ein guter Freund.
Mit Bus und Straßenbahn machen wir uns auf dem Weg zu unserer Campervan-Vermietung. Leider gab es wohl im Vorfeld einige Kommunikationsprobleme und so finden wir uns nach gut einer Stunde Fahrt am anderen Ende der Stadt vor einem Einfamilienhaus wieder. Die Privatadresse des freundlichen Mitarbeiters, jedoch sicher keine Vermietstation. Nach geraumer Zeit werden wir von Patrice abgeholt und zur richtigen Adresse gefahren. Hier erwartet uns schon unser Zuhause für die nächsten Tage. Nach der Übergabe geht es los – immer Richtung Meer. Leider haben wir nicht bedacht, dass in Frankreich die Supermärkte bereits um 19:30 schließen und so fahren wir ohne Proviant, ohne Wasser immer weiter die Landstraße entlang. Unruhe macht sich breit. Die letzte Mahlzeit liegt Stunden zurück, Wasser gab es das letzte mal im Flugzeug.
Wir halten mit quietschenden Reifen an einem Parkplatz in einem menschenleeren Dorf, da ich im Augenwinkel einige Restaurants erspäht habe. Just in diesem Moment wird der Rollladen von dem letzten geöffneten Lokal zugezogen. Leichte Verzweiflung. Doch da erblicke ich zwei ältere Damen die ineinandergehakt, plaudernd hinter eine Ecke biegen. Leise Musik lässt mich hoffnungsfroh fragen: Vielleicht eine Bar wo wir wenigstens Wasser und Erdnüsse bekommen?

Sandwich Americain am Parkplatz. Die Rettung!
Wir folgen den beiden Frauen und finden uns auf einem Marktplatz wieder auf dem ausgelassen zu keltischer Musik getanzt wird. Ein großer Grill ist aufgebaut und Stimmengewirr erfüllt den Platz. Wir blicken uns an. Ohne große Worte laufen wir zur Bar bestellen Wasser, Pommes und Sandwich Americain für ihn, ein Glas Wein für mich. Ohne es zu wissen sind wir auf eine Fest-noz gestolpert. Eine volkstümliche Tanzveranstaltung welche meist abends oder nachts stattfindet. Wir lassen alles auf uns wirken. Genießen die Köstlichkeiten und ausgelassene Stimmung. Entspannt fahren wir zu unserem Ziel des heutigen Tages. Die Sonne geht gerade unter als wir den wunderschönen Strandparkplatz erreichen. Einmal tief einatmen und dann erblicken wir hinter uns das Strandrestaurant L’Aporrhais. Ob sie noch etwas für uns haben? Und ob! Wir nehmen auf der Terrasse Platz, bestellen Rosé, Moules Frites citron und blicken aufs Meer. Die Sonne färbt den Himmel rosa, wie jeden Tag in den kommenden 8 Tagen. Was wir jetzt noch nicht wissen. Es wird eine Jahrtausendwoche in der Bretagne. Eine Woche kein Wölkchen, kein Wind, konstante 30 Grad. Der Regenschirm wird zum Sonnenschirm umfunktioniert, das Meer so glatt wie ein ruhiger See.



Der nächste Morgen lässt uns früh erwachen. Zu schön der Ausblick aus dem Fenster. Staketenzaun, Dünen, Sandhafer und die langsam einsetzende Flut. Wir machen uns auf den Weg in das nächste Dorf Batz-sur-Mer.

Batz sur Mer
Grundversorgung. Kaffee, Baguette und Demi-sel Butter. Mein Ausruf: Was wollen wir mit einem ganze Paket Butter – niemals werden wir das in einer Woche schaffen! sollte bereits in weniger als 6 Tagen revidiert werden. Team Beurre-Sel!
Nachdem Frühstück fahren wir durch die Salzlandschaften von Guérande. Halten bei Salinen und kaufen Salz direkt beim Salzbauern. Was für ein Vergnügen in den abstrakten Landschaften der Salzgärten die verschiedensten Arten von Blau und Weißtöne auf sich wirken zu lassen.

Salinen
In Guérande selber ist heute Markttag. Hinter den dicken Stadtmauern zieht sich der wunderschöne Markt durch die Altstadt. Ateliers und Kunsthandwerk geben den Ton an in dieser mittelalterlichen Stadt der Bretagne.



Bevor die Sonne zu hoch steht fahren wir zu unserer Endetappe an diesem Tag. Nach Locmariaquer – das Tor zum Golf von Morbihan. Morbihan ist bretonisch und bedeutet soviel wie „kleines Meer“. Das inselreiche Binnenmeer – um die 60 Inseln zählt dieser Landstrich – ist nur über eine schmale Passage mit dem Atlantik verbunden. Die Gezeitenströme sind hier mit 4 Meter pro Sekunde so stark, dass innerhalb kürzester Zeit sich die Landschaft komplett verändert. Locmariaquer hat alles was man sich von einer Reise in die Bretagne vorstellt. Ein kleiner Hafen, wunderschöne Strände und überall Megalithen. Am Plage de Falais kühlen wir uns ein wenig von der Sommerhitze ab bevor wir zu einem kleinen, versteckten Campingplatz aufbrechen. Fast direkt am Meer liegt der Campingplatz „Camping de La Tour Golfe du Morbihan“. Unter einem Baum suchen wir uns ein schattiges Plätzchen, fast alleine sind wir hier an diesem heissen Tag im Juni. Wir gehen zum Meer um uns nochmal abzukühlen, doch das Wasser zieht sich gerade zurück und lässt die Landschaft fast unwirklich erscheinen.


Der Himmel beschliesst den Tag wieder mit seinem herausragenden Farbenspiel.
„Ruzder diouzh an noz Amzer vrav antronoz.” – Röte am Abend, schönes Wetter am nächsten Tag.
INFOS
Anreise: Von Hamburg fliegt unter anderem HOP nach Nantes. Von hier ist es nicht weit in die Bretagne.
Um vom Flughafen in die Innenstadt von Nantes zu gelangen, kann man entweder den Flughafenbus nehmen (9.-) oder man fährt mit dem Bus 48 drei Stationen bis zur Station Neustrie, wo einem die Strassenbahn 3 in die Innenstadt bringt (Ticket 1,70.- / 60 min gültig).
Wir haben unseren Bus bei Van-away gebucht – hier gibt es verschiedenste Modelle zur Auswahl. Weitere Anbieter: We-Van und Travel-Camper